Beginn 20.00 Uhr – Eintritt frei
Das von Heinrich Hoffmann produzierte Fotobuch „Hitler wie ihn keiner kennt“ erschien zwischen 1932 und 1944 in einer Gesamtauflage von mehr als 400.000 Exemplaren. In diesem Buch wird Hitler in seinen Inszenierungen als Redner gezeigt, am Totenbett eines SS-Mannes stehend, an seinem Schreibtisch im Braunen Haus und im repräsentativen Porträt; doch daneben sieht man einen geradezu menschlichen Hitler, der nach dem Sonnenbad einen Liegestuhl zum Haus trägt, aus einer Kirche tritt, in der Zeitung blättert und auf der Fahrt von einer Veranstaltung zur anderen für ein Picknick in einer Wiese kniet. Indem der Band die politische Erscheinung mit der vermeintlich privaten Person verquickt, soll nicht nur Hitler als „ein mitreißender Führer, sondern ein großer und guter Mensch“ offenbart werden, wie Baldur von Schirach im Vorwort des Buches schreibt.
Gleichzeitig knüpfen Ästhetik und Motivik gerade dieser Aufnahmen des Bandes an die jener Familienalben an, wie sie in diesen Jahren zu Tausenden angelegt wurden; neben inszenierten Studioporträts zeigen die Knipserbilder meist Momente der Muße als kleine Ausnahmen des Alltags, den Ausflug am Wochenende, die ersten Schritte des Kindes, den Heimaturlaub des Soldaten, einen Besuch im Zoo, die Fahrt über die Autobahn, eine Pause. In dieser privaten Welt ist der NS so beiläufig wie unvermeidlich präsent, wenn beim Ausflug an den See die Hakenkreuzfahnen am Bootssteg wehen, beim gemütlichen Glas Wein im Wohnzimmer an der Wand ein Hitlerporträt hängt und der freundlich lächelnde Kollege nicht nur das Parteiabzeichen am Revers trägt, sondern unter der Nase den gleichen Bart wie „der Führer“.
Zwar macht der Bart noch keinen Nazi; doch die Etablierung des Führerprinzips und die Bildpolitik der NSDAP hatten spätestens zu Beginn der 1930er Jahre dafür gesorgt, dass die Partei und Hitler als Identitäten repräsentiert und auch wahrgenommen wurden. Und so stand sein Konterfei ebenso emblematisch für die Partei wie das Hakenkreuz als ihr Symbol. Wer sich daher in dieser Zeit in Deutschland einen solchen Bart stehen ließ, wusste, auf wen er sich damit bezog. Unabhängig von Alter, Statur, Haarfarbe, Physiognomie und Stand eigneten sich die Männer jenen Teil der Erscheinung Hitlers an, der dieser Anverwandlung zugänglich ist: einen kleinen Flecken Bart unter der Nase, der für Hitler so kennzeichnend war, dass er in keiner Karikatur der Zeit fehlte und bis heute als defacement auf Plakaten aller Art anzutreffen ist. In den Physiognomien der Männer mit den sogenannten Zweifingerbärten gehen der sterbliche Körper und der politische Körper des Führers eine unheimliche Synthese mit den Körpern der Untertanen ein ? der sterbliche Körper wird gleichsam unsterblich, indem er sich in den Körpern derer vervielfältigt, denen eine Teilhabe an der Macht nicht nur suggeriert, sondern über die Mitgliedschaften in den Massenorganisationen angeboten und gewährt wurde.
Dr. Friedrich Tietjen ist Juniorprofessor für Geschichte und Theorie der Fotografie an der Hochschule für Grafik und Buchkunst in Leipzig.
Jüngste Publikationen:
– Recycling Economy. Reading the Green Dot in a Dual System. In: Liz Bachhuber (Hg.): Entrophy. Garbage and Art. Verlag der Bauhaus Universität. Weimar 2012
– Zwecklose Blitze. In: Katja Müller-Helle, Florian Sprenger (Hgg.): Blitzlicht. Berlin [diaphanes] 2012
– Zwischen Schwarz-Weiß und Grau. Fotografische Reproduktion von Farben vor der Farbfotografie. In: Horst Bredekamp (Hg.): Bildwelten des Wissens. Kunsthistorisches Jahrbuch für Bildkritik. Berlin [Akademie Verlag] 2011
– Immer gleiche Bilder. Zur Notwendigkeit der Re-Inszenierung fotografischer Gruppen- und Einzelporträts. In: Klaus Krüger, Leena Crasemann, Matthias Weiß (Hgg.): Re-Inszenierte Fotografie. München [Verlag Wilhelm Fink] 2011
Beginn 20.00 Uhr – Eintritt frei
Das von Heinrich Hoffmann produzierte Fotobuch „Hitler wie ihn keiner kennt“ erschien zwischen 1932 und 1944 in einer Gesamtauflage von mehr als 400.000 Exemplaren. In diesem Buch wird Hitler in seinen Inszenierungen als Redner gezeigt, am Totenbett eines SS-Mannes stehend, an seinem Schreibtisch im Braunen Haus und im repräsentativen Porträt; doch daneben sieht man einen geradezu menschlichen Hitler, der nach dem Sonnenbad einen Liegestuhl zum Haus trägt, aus einer Kirche tritt, in der Zeitung blättert und auf der Fahrt von einer Veranstaltung zur anderen für ein Picknick in einer Wiese kniet. Indem der Band die politische Erscheinung mit der vermeintlich privaten Person verquickt, soll nicht nur Hitler als „ein mitreißender Führer, sondern ein großer und guter Mensch“ offenbart werden, wie Baldur von Schirach im Vorwort des Buches schreibt.
Gleichzeitig knüpfen Ästhetik und Motivik gerade dieser Aufnahmen des Bandes an die jener Familienalben an, wie sie in diesen Jahren zu Tausenden angelegt wurden; neben inszenierten Studioporträts zeigen die Knipserbilder meist Momente der Muße als kleine Ausnahmen des Alltags, den Ausflug am Wochenende, die ersten Schritte des Kindes, den Heimaturlaub des Soldaten, einen Besuch im Zoo, die Fahrt über die Autobahn, eine Pause. In dieser privaten Welt ist der NS so beiläufig wie unvermeidlich präsent, wenn beim Ausflug an den See die Hakenkreuzfahnen am Bootssteg wehen, beim gemütlichen Glas Wein im Wohnzimmer an der Wand ein Hitlerporträt hängt und der freundlich lächelnde Kollege nicht nur das Parteiabzeichen am Revers trägt, sondern unter der Nase den gleichen Bart wie „der Führer“.
Zwar macht der Bart noch keinen Nazi; doch die Etablierung des Führerprinzips und die Bildpolitik der NSDAP hatten spätestens zu Beginn der 1930er Jahre dafür gesorgt, dass die Partei und Hitler als Identitäten repräsentiert und auch wahrgenommen wurden. Und so stand sein Konterfei ebenso emblematisch für die Partei wie das Hakenkreuz als ihr Symbol. Wer sich daher in dieser Zeit in Deutschland einen solchen Bart stehen ließ, wusste, auf wen er sich damit bezog. Unabhängig von Alter, Statur, Haarfarbe, Physiognomie und Stand eigneten sich die Männer jenen Teil der Erscheinung Hitlers an, der dieser Anverwandlung zugänglich ist: einen kleinen Flecken Bart unter der Nase, der für Hitler so kennzeichnend war, dass er in keiner Karikatur der Zeit fehlte und bis heute als defacement auf Plakaten aller Art anzutreffen ist. In den Physiognomien der Männer mit den sogenannten Zweifingerbärten gehen der sterbliche Körper und der politische Körper des Führers eine unheimliche Synthese mit den Körpern der Untertanen ein ? der sterbliche Körper wird gleichsam unsterblich, indem er sich in den Körpern derer vervielfältigt, denen eine Teilhabe an der Macht nicht nur suggeriert, sondern über die Mitgliedschaften in den Massenorganisationen angeboten und gewährt wurde.
Dr. Friedrich Tietjen ist Juniorprofessor für Geschichte und Theorie der Fotografie an der Hochschule für Grafik und Buchkunst in Leipzig.
Jüngste Publikationen:
– Recycling Economy. Reading the Green Dot in a Dual System. In: Liz Bachhuber (Hg.): Entrophy. Garbage and Art. Verlag der Bauhaus Universität. Weimar 2012
– Zwecklose Blitze. In: Katja Müller-Helle, Florian Sprenger (Hgg.): Blitzlicht. Berlin [diaphanes] 2012
– Zwischen Schwarz-Weiß und Grau. Fotografische Reproduktion von Farben vor der Farbfotografie. In: Horst Bredekamp (Hg.): Bildwelten des Wissens. Kunsthistorisches Jahrbuch für Bildkritik. Berlin [Akademie Verlag] 2011
– Immer gleiche Bilder. Zur Notwendigkeit der Re-Inszenierung fotografischer Gruppen- und Einzelporträts. In: Klaus Krüger, Leena Crasemann, Matthias Weiß (Hgg.): Re-Inszenierte Fotografie. München [Verlag Wilhelm Fink] 2011