Buchhandlung im Schanzenviertel, Jungle World & OPAK präsentieren:
Die Untüchtigen – Breaking the… what?
In Kooperation mit GM Films
Beginn pünktlich um 20.00 Uhr
BRUCE LABRUCE: THE ADVOCATE FOR FAGDOM
FR 2011 / 91 Minuten
Heute Abend zeigen wir eine Dokumentation über Bruce LaBruce, den wir zur Eröffnung unseres Kinos bereits im Mai begrüßen durften.
Am Ende des Textes finden Sie ein Interview mit ihm aus Konkret 09/2010.
Der Pressetext über diesen Film besagt:
Achtung, Baby, dieser Film ist gefährlich! Sie sehen Massenvergewaltigungen und sadomasochistischen Sex, treffen Waffenfetischisten und Freunde des Naziregimes. Oder doch nicht? All das und noch viel mehr hat man Bruce LaBruce, dem Anführer und enfant terrible der Queercore-Filmszene, schon vorgeworfen. Und wäre der Satz nicht schon zu den Arbeiten von Pasolini geprägt worden, könnte man sagen, daß der Film- und Theatermacher alle heiligen Kühe unsittlich berührt hat. LaBruce provoziert, schockiert, ironisiert. Dabei ist er immer ein konsequenter Verfechter schwuler Interessen.
„The Advocate For Fagdom“ ermöglicht einen Einblick in LaBruces Leben und Schaffen und zeigt die verschiedenen Facetten dieses Phänomens der Popkultur. Neben Filmausschnitten und seltenen Archivaufnahmen kommen Schriftsteller, Filmemacher, Galeristen, Schauspieler, Fotografen, Produzenten, Freunde und Liebhaber zu Wort. John Waters, Bruce Benderson, Harmony Korine, Gus Van Sant, Richard Kern, Rick Castro und andere interpretieren, geben ihre Eindrücke und Theorien wieder oder wissen Anekdoten zu berichten. „The Advocate For Fagdom“ ist das faszinierende Porträt eines Künstlers mit einzigartigen Talenten, einer komplexen Persönlichkeit im Krieg mit den Systemen.
[youtube koas4S0-bfo 507 300]
Ein Interview mit Bruce La Bruce aus KONKRET 09/2010:
Pornostar sind die letzten Revolutionäre
KONKRET sprach mit dem schwulen Filmemacher Bruce La Bruce über Gender-Terrorismus, die Verspießerung der Schwulenbewegung und über seinen neuen Film „L.A. Zombie“, der gerade in Locarno Premiere feierte, aber beim Melbourne International Film Festival von der Zensur verbannt wurde.
KONKRET: Judith Butler hat den ihr vom diesjährigen Berliner CSD verliehenen „Courage”-Preis abgelehnt, weil die Veranstalter sich nicht klar genug von den rassistischen Tendenzen innerhalb der Schwulenszene abgegrenzt hatten. Hätten Sie den Preis angenommen?
LA BRUCE: Ich bewundere Judith Butler dafür, daß sie den Preis zurückgewiesen hat, denn das hat bestimmt viel Mut erfordert. Aber diese Kämpfe sind nichts Neues. Spätestens seit den Achtzigern wird die Schwulenbewegung in Westeuropa, den USA und Kanada von vornehmlich weißen, männlichen, bourgeoisen, konservativen Vorstellungen bestimmt, und seit damals dreht sich auch mein Leben und Arbeiten vor allem darum, diese bourgeoisen Tendenzen innerhalb der Schwulenbewegung und deren Kapitulation vor der herrschenden rassistischen und sexistischen Ideologie zu bekämpfen.
Darum habe ich nie irgendeiner orthodoxen Schwulenbewegung zugehörig gefühlt. Mir war schon sehr früh klar, daß sich dort die selbe fundamentale Disikriminierung und Ungleichheit manifestierte, die die Kultur insgesamt prägen.
Ich war immer gegen eineTrennung der Geschlechter und gegen die unter Schwulen verbreitete Frauenfeindlichkeit. Ich habe immer Transsexualismus und andere Formen von „Gender-Terrorismus“ unterstützt – es sei denn, auch die wollten wieder nur Stereotype bekräftigen. In „J.D.s“, dem Fanzine das ich und G.B. Jones in den späten Achtzigern herausgegeben haben, haben wir gegen das schwule, weiße, männliche Establishment gekämpft. Auf unseren Titeln posierten Männer und Frauen unterschiedlicher Hautfarbe miteinander, was damals unerhört war – und eigentlich auch heute noch unerhört ist.
Also: Ja, ich habe mir meine Glaubwürdigkeit auf diesem Gebiet redlich verdient. Ob ich den Preis abgelehnt hätte? Das ist eine rein akademische Frage. Niemand verleiht einem kleinen Pornographen wie mir solche Preise. Ich hab nie den Teddy gewonnen, Honey. Ich bin politisch viel zu unkorrekt, um irgendwelche bedeutenden Preise zu gewinnen – ob schwul oder nicht.
KONKRET: Butler hat kritisiert, die Schwulenszene lasse sich in einen rassistischen Krieg gegen Moslems instrumentalisieren. In Ihrem schwulen Zombiefilm „Otto, or Up with Dead People“ gibt es einige Szenen, die zeigen, warum Otto es vorzieht, ein Zombie zu sein: Er wird von vorwiegend türkischen Jugendlichen bedroht und angegriffen.
LA BRUCE: Sie haben Ihren Syllogismus nicht zu Ende geführt! Das ist ja eher ein Vorwurf als eine Frage! Mein Gott, diese Form politisch korrekter Repräsentationskontrolle – ich könnte kotzen. Immerhin wurde ich nach dem 11. September angegriffen, weil ich in meiner Kolumne für eine freie Wochenzeitung in Toronto den Islam verteidigt hatte und offen zu meiner damaligen Beziehung mit einem strenggläubigen Moslem stand. Darum ärgert mich eine so kleinliche Beurteilung meiner Arbeiten. Das Verhältnis von Homosexualität und Islam ist viel zu komplex für so ein Interview. Vielleicht genügt es hier zu sagen, daß ich mich wie viele homosexuelle Männer zu der so manifesten wie fließenden Homosexualität muslimischer Kulturen, die sich jeder Form des politischen Bewußtseins widersetzt, hingezogen fühle, während mich die offensichtliche Homophobie, die dieselben Kulturen gegen all jene Männer richtet, die sich als schwul identifizieren, zugleich abstößt. Das ist ein schwer lösbares Paradox. Die Vorstellung, man müsse muslimischen Kulturen ein westliches und “aufgeklärtes” schwules politisches Bewußtsein aufzwingen, ist so überheblich wie lächerlich, vor allem weil ja die westliche Schwulenbewegung selbst nicht frei ist von sozialer Diskriminierung, Rassismus und Sexismus. Trotzdem kann man das Problem von Homophobie in muslimischen Kulturen nicht einfach schönreden, insbesondere wenn es sich in Aggression und Gewalt manifestiert.
Sicher habe ich als Schwuler mehr Angst davor, in BerIin von weißen Neonazis zusammengeschlagen zu werden als von türkischen Jugendlichen. Aber das heißt nicht, daß es in der türkischen Gemeinde keine Homophobie gibt. Es gibt sie! Die Jungen, die in meinem Film den schwulen Zombie Otto zusammenschlagen, sind türkisch, weil die Szene auf den Straßen Kreuzbergs spielt. Ich habe befürchtet, daß das fälschlicherweise als rassistisch interpretieret werden könnte, und habe, um deutlich zu machen, daß Homophobie in allen Kulturen verbreitet ist, noch einen weißen Jungen hinzugefügt. Hätte ich für eine ausgewogene Darstellung statt einem zwei Weiße nehmen sollen? Wenn man als Künstler anfängt, seine Darstellung derart zu kontrollieren, bloß um politisch korrekt zu sein, kann man’s auch sein lassen.
KONKRET: Wie homophob ist die Linke heute?
LA BRUCE: Ich weiß ja nicht mal, wie Sie von „der Linken“ noch sprechen können, so als wäre das etwas Monolithisches und in sich Geschlossenes. Die Linke ist, meiner bescheidenen Meinung nach, prakisch tot. Halten Sie etwa die Neoliberalen, deren antisozialistische Wirtschaftspolitik oftmals mit gesellschaftsliberalen Werten zusammengeht, für einen Teil der Linken?
In Amerika wenigstens hat der allgemeine Trend der Schwulenbewegung zu Verspießerung und Assimilation eine Welle von Homophobie ausgelöst.
Homosexuelle kaufen sich noch in die konservativsten Institutionen der herrschenden Kultur – Ehe, Militär, Religion usw. – ein, aber die konservative, vorwiegend christliche Rechte will sie aus moralischen Gründen nicht haben. Diese – meist christlichen – schwulen Assimilationsverfechter haben mit klassisch linker Ideologie nichts mehr zu tun. Sie hoffen bloß noch, durch den Beweis, sich durch nichts von ihren Unterdrückern zu unterscheiden, deren soziale und legale Akzeptanz zu gewinnen. So sieht die neue Normalität aus. Man könnte sagen, daß es heute eine neue Form der Homophobie innerhalb der schwulen Kultur gibt, die sich gegen die “schlechten“ Repräsentanten von Homosexualität richtet – nach dem Motto: Es sind die Schwuchteln, die Homosexualität in Verruf bringen! Glücklicherweise bin ich ein Pionier in dieser Kategorie.
KONKRET: In „Raspberry Reich“ sagt die Revolutionärin Gudrun: „Ohne sexuelle Revolution kann es keine Revolution geben!“
LA BRUCE: Hey, das Konzept hab’ ja nicht ich erfunden. Schon Godard hat gesagt: „Le cul, c’est la politique“, und auch Jean Genet hat seine (Homo-) Sexualität revolutionär eingesetzt. Revolutionen wollen soziale und sexuelle Konventionen in Frage stellen. Ursprünglich – also vor der Assimilation – richtete sich die Schwulenbewegung gegen jede Form sexueller Konvention. Es waren die Sissies und Transen, die an der Spitze dieser Bewegung standen, die alle entrechteten Minderheiten aller Hautfarben und Geschlechter willkommen hieß. Lesbische Separatisten experimentierten mit einem militanten Feminismus, der jede Form des Patriarchats ablehnte. Die schwulen Ledermänner der Siebziger und Achtziger waren stilvolle, militante Krieger, die alle Formen sexueller Normalität, Gruppensex und Sex in der Offentlichkeit, zügellose Promiskuität und sexuelle Anarchie stolz zur Schau trugen. Auch der frühe Punk geht auf sexuelles Experimentieren, Homosexualität, Bisexualität, Genderdysphorie zurück und wurde erst später sexuell konventioneller. Sie haben den wichtigsten Teil von Gudruns Äußerung ausgelassen: “Ohne homosexuelle Revolution wird es keine sexuelle Revolution geben.“ Das Problem vieler Linker ist, daß sie die sexuelle Frage für eine reine Ablenkung von der den Status quo in Frage stellenden Revolution halten. Das Gegenteil ist richtig: Erst wenn man sich von solchen engstirnigen und spießigen Vorstellungen wie Monogamie, Treue- und Heterosexualität verabschiedet hat, kann man ein wirklicher Revolutionär werden. Das hat auch Gudrun gesagt, aber ich glaube, da ist viel Wahres dran.
KONKRET: lst heterosexueller Geschlechtsverkehr für Sie per se unterdrückerisch?
LA BRUCE: Für wen halten Sie mich – Andrea Dworkin? Nein, ich bin sicher kein feministischer Pornogegner. Ich glaube nicht, daß heterosexueller Verkehr und Vergewaltigung dasselbe sind. Und ich glaube auch nicht, daß ein Mann eine Frau erniedrigt, wenn er ihr außerhalb eines Friseursalons ein Facial gibt, also auf ihrem Gesicht kommt. Wie können Sie mir ernsthaft eine solche Frage stellen? Als internationaler Pornograph bin ich für jede Form des Fickens, sogar die heterosexuellen Varianten.
KONKRET: In einem Blog war zu lesen: „Die Tatsache, daß sich heterosexuelle Pornographie so sehr auf Unterwerfung konzentriert, erklärt sich nur mit dem wimmernden Wunsch nach Liebe – allerdings nach der Liebe anderer Männer.“ Sind die Phantasien heterosexueller Männer bestimmt von dem verdrängten Wunsch, von anderen Männern geliebt zu werden?
LA BRUCE: Ich bin kein strikter Freudianer, aber ich bin ein Freud-Sympathisant, und ein Freudscher Grundsatz, an den ich glaube, ist die Entwertung des Liebesobjeks. Um mit jemandem Sex zu haben, muß man ihn – unabhängig von Geschlecht oder Gender – auf die eine oder andere Weise verdinglichen. Sex ist ein aggressiver, primitiver Trieb, und Beherrschung und Unterwerfung sind dem sexuellen Akt inhärent. Meinten Sie mit Ihrer Frage vielleicht, ob alle Männer Schwuchteln sind? – Wahrscheinlich ist es so.
KONKRET: Wie kommt es, daß Frauen in lhren Filmen so oft theatralische Kämpfer für Freiheit und Gleichheit sind, die dann ihre ldeale verraten? Ist das Ihrer Meinung nach, ein typisch „weiblicher” Zug?
LA BRUCE: Sagen wir mal so:Traditionell erwartet das Mainstreamkino von schwulen Männern, daß sie, nach dem sie in ein paar schwulen Filmen ihren jugendlichen Übermut ausgelebt haben, reif sind für die massentauglichere, heterosexuelle Kost. Um diesen Erwartungen nachzukommen, erzählen schwule Regisseure ihre Filme oft aus Sicht einer heterosexuellen Heldin, auf die sie ihre Gefühle und Ästhetik projizieren können. Diese Tradition reicht von den Regisseuren des klassischen Hollywood wie George Cukor und Vincente Minnelli (Minnelli ging mit der Identifikation soweit, daß er Judy Garland, seine Hauptdarstellerin, ehelichte!) bis zu modemeren Beispielen wieTodd Haynes. Den Rahmen bildet oftmals das Melodram, in dem der schwule Regisseur in barocker Identifikation mit dem weiblichen Opfer mitleidet. Obwohl ich diese Charakere durch und durch genießen kann, wollte ich in meinen eigenen Filmen die Dinge ein bißchen anders machen. Meine weiblichen Heldinnen sind willensstark, aggressiv, intellektuell und feministisch. Es erstaunt mich , daß bei der Beschreibung dieser Frauen niemand auf diese Adjekive kommt, sondern meistens auf hysterisch,theatralisch und schrill.
Gudrun zum Beispiel ist ohne Frage ein schwieriger Charakter, dessen Vorhaben letztlich scheitert. Aber ihre Absichten sind gut, und ihre Versuche, aus der spießigen Normalität auszubrechen, sind sehr liebenswert, zumindest für mich. Viele meiner weiblichen Charaktere machen außerdem Filme. Sie versuchen,die Darstellung zu kontrollieren, und benutzen die Kamera, um sich der Selbstverdinglichung zu widersetzen. Es gibt nicht viele Filme, die solche starken weiblichen Charaktere zeigen, und falls sie besonders viele Makel haben, dann liegt das wahrscheinlich daran, daß sie meine ldentifikationsfiguren sind. Ihre Fehler sind meine Fehler.
KONKRET: Dann nehmen Sie die in lhren Filmen geäußerten politischen Überzeugungen also nicht zurück, weil Sie sie diesen etwas problematischen Charakteren in den Mund legen?
LA BRUCE: Ich bin jetzt seit sechs Jahren mit einem Kubaner zusammen, und als wir uns kennenlernten, hat er mich unermüdlich wegen meines „revolutionären“ Posierens aufgezogen. Immerhin hatte er unter Castro gelebt, bis er mit dreißig Kuba verlassen hat. Er wußte also aus eigener Erfahrung, was Revolution bedeutet. Ich dagegen hatte, obwohl ich in einer ländlichen und proletarischen Umwelt aufgewachsen war, nur das privilegierte Leben eines Weißen und relativen Wohlstand kennengelernt. Was meinem Freund auffiel, als er sich „Rasperry Reich“ anschaute war, daß ich in dem Film eingestand, daß für viele Menschen in der westlichen Welt „Revolution“ eine Art Fetisch und eine schicke Pose ist. Das muß nicht bedeuten, daß sie nicht tatsächlich einen aufrichtigen Glauben an die Revolution haben. Doch bis man nicht „seinen Marxismus dahin tut, wo der Mund ist“, wie Gudrun sagt, ist das alles bloß Rhetorik und Deko. Ich lasse also die überzeugendsten Statements von meinen korruptesten Charakteren machen,weil ich selbst in mancher Hinsicht korrupt bin.
KONKRET: Wie können Sie von Ihren Schauspielern verlangen, vor der Kamera Sex zuhaben, ohne ihre Persönlichkeitsrechte zu verletzen?
LA BRUCE: Oh, Ihre Fragen sind so aggressiv, das macht mich echt an! Als ich anfing, Filme zu machen, habe ich aus Prinzip nie von jemandem etwas verlangt, was ich nicht selbst tun würde. Darum habe ich in meinen ersten zwei Filmen, „No Skin Off My Ass“ und „Super 8 1/2“ selbst explizite Sexszenen gespielt. Die gesellschaftliche Haltung zur Pornographie ist von einer Doppelmoral bestimmt: Man konsumiert Pornos geradezu unersättlich, rümpft aber die Nase über diejenigen, die Pornos machen oder darin mitspielen. Sogar in der seriösen Kunst- und Filmwelt ist es schwer, ernstgenommen zu werden und zu arbeiten, wenn man zu eng mit Pornographie in Verbindung gebracht wird. Ich arbeite bei Filmen, die man gemeinhin als Pornos bezeichnet, ausschließlich mit professionellen Pornodarstellern zusammen, die genau wissen,was und warum sie es tun. In „The Raspberry Reich“ habe ich Susanne Sachsse gefragt, ob ihr wohl dabei wäre, expliziten Sex vor der Kamera zu haben, und ich habe ihr gesagt, daß diese Entscheidung allein bei ihr liege. Wir waren uns dann einig, daß die Aussage des Films – seine uneingeschränkte Überzeugung von der Notwendigkeit einer sexuellen Revolution sehr viel zwingender rüberkäme, wenn sie echten Sex hätte. Aus diesem Grund wurde sie danach aus ihrer Agentur geworfen. Ich weiß aber, daß sie sehr stolz auf den Film ist und ihre Entscheidung nicht bereut. Für „Otto“ habe ich den Hauptdarsteller, Jey Crisfar, gefragt,ob er explizite Sexszenen spielen würde. Er hat sich dagegen entschieden, und so ist der Film auch weniger pornographisch geworden als beabsichtigt. Das ist einer der Gründe, weshalb ich jetzt noch einen schwulen Zombiefilm gemacht habe. Mit „L.A. Zombie” löse ich mein Versprechen ein, einen richtig blutigen schwulen Hardcore-Zombieporno zu machen.
KONKRET: Denken Sie wirklich, das Pornographie subversives Potential hat?
LA BRUCE: Auf jeden Fall. Wir wissen, daß auch die junge Gudrun Ensslin einen sexuell expliziten Film gemacht hat, weil ihr das revolutionäre Potential solcher Bilder bewußt war. Viele Pornos aus den Sechzigern und Siebzigern sind sowohl inhaltlich als auch formal subversiv.Schwule Pornographie hat Regisseure wie Peter De Rome, Fred Halsted, Wakefield Poole, Curt Mc Dowell, Jack Deveau heworgebracht, die sehr experimentell und subversiv die Grenzen schwuler Repräsentation und sexueller Dekadenz und Militanz ausgereizt haben. Ich finde es erstaunlich, daß nicht mehr Leute versuchen, ihre ideologischen und politischen Vorstellungen durch Pornographie zu vermitteln. Was die Schwulenbewegung betrifft, würde ich sogar sagen, daß Pornostars die letzten wahren sexuellen Revolutionäre sind.
Ob das bewußt oder unbewußt – sind sie diejenigen, die die Tradition von kompromißlosem, militantem schwulem Hardcoresex fortführen.
KONKRET: Ich habe Ihre Filme mit Freunden angeschaut. Ich fand sie satirisch und ironisch. Meine Freunde waren anderer Meinung: Es handle sich bloß um schlechte Schauspielerei, konventionelle Pornoszenen und tolle Slogans und Ideen. Sind Ihre Filme witzig? Und wenn ja, warum? Soll das Komische die politische Botschaft und die Pornographie dialektisch brechen?
LA BRUCE: Wow, Ihre Freunde müssen ja echt bourgeois sein! Wann immer ich die Worte „schlechte Schauspielerei“ höre, greife ich nach meiner Pistole (um einen gewissen Nazi zu paraphrasieren)! Ich finde es lustig, wenn man mir vorwirft, in meinen Filmen werde schlecht gespielt. Erstens habe ich ein so kleines Budget, daß ich mir den Luxus von Proben nicht erlauben kann. Zweitens arbeite ich oft mit Leuten, die keine oder zumindest keine richtige Schauspielerfahrung haben, und dann lasse ich sie die kompliziertesten, undurchsichtigsten Dialogesprechen, die sogar professionelle Schauspieler nur mit Mühe überzeugend wiedergeben könnten. Drittens mag ich die grundlegend Brechtsche Qualität schlechter Schauspielerei. Und schließlich finde ich das übermäßig gefühlsgeladene, realistische Schauspiel, das man im narrativen Mainstreamkino sieht und das die meisten als „gut“ bezeichnen würden, grauenhaft. Es überrascht mich, daß sogar Menschen, die für sich einen unkonventionellen oder gar radikalen Geschmack beanspruchen, anscheinend all ihre kritischen Fähigkeiten an der Kinokasse abgeben, ehe sie sich die geistlosesten, massentauglichsten und spießigsten Filme anschauen.
Das Komische hingegen ist ein großartiger Gleichmacher. Besonders Slapstick kann Klassenunterschiede einebnen. In meinen Filmen mache ich viel Gebrauch vom Komischen, auch weil die Leute dazu neigen, Pornos viel zu ernst zunehmen: Über Pornos macht man nämlich keine Witze, und man macht auch nicht auf die Mechanik des Genres und des sexuellen Aktes aufmerksam – dabei kann die sehr komisch sein! Das Komische erlaubt es einem außerdem, wichtige politische Argumente zu bringen, ohne dabei wie ein dogmatisches, schulmeisterliches Arschloch zu klingen, wozu ich unglücklicherweise manch mal neige, wenn ich nicht aufpasse.
KONKRET: Warum spielen so viele Ihrer FiIme in Deutschland und beziehen sich ausdrücklich auf die deutsche Geschichte. Sind Deutschland und seine Geschichte eineArt Fetisch?
LA BRUCE: Na ja, Deutschland hat den weltgrößten und haltbarsten Fetisch aller Zeiten hervorgebracht: den Nazismus! Den Großvater aller Fe-tische! Auf dieser Vorstellung vom Superfetisch, vom ultimativen Tabu, von der ultimativ politisch unkorrekten, sexuellen Phantasie basieren sowohl mein Spielfilm „Skin Flick“ als auch dessen Hardcorepornoversion „Skin Gang”.
KONKRET: Nachdem ihn eine zärtliche Liebesszene wieder zum Leben erweckt hat, entscheidet Otto sich, doch lieber zum Zombiedasein zurückzukehren. Gibt es Liebe im Kapitalismus?
LA BRUCE: In einem Wort: Nein. In einer Gesellschaft, die Materialismus statt Spiritualismus predigt, die Schwachen sterben läßt und in der Eigentum mehr wert ist als der Mensch, kann es keine Liebe geben. Überhaupt keine.
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Beginn pünktlich um 20.00 Uhr
BRUCE LABRUCE: THE ADVOCATE FOR FAGDOM
FR 2011 / 91 Minuten
Heute Abend zeigen wir eine Dokumentation über Bruce LaBruce, den wir zur Eröffnung unseres Kinos bereits im Mai begrüßen durften.
Am Ende des Textes finden Sie ein Interview mit ihm aus Konkret 09/2010.
Der Pressetext über diesen Film besagt:
Achtung, Baby, dieser Film ist gefährlich! Sie sehen Massenvergewaltigungen und sadomasochistischen Sex, treffen Waffenfetischisten und Freunde des Naziregimes. Oder doch nicht? All das und noch viel mehr hat man Bruce LaBruce, dem Anführer und enfant terrible der Queercore-Filmszene, schon vorgeworfen. Und wäre der Satz nicht schon zu den Arbeiten von Pasolini geprägt worden, könnte man sagen, daß der Film- und Theatermacher alle heiligen Kühe unsittlich berührt hat. LaBruce provoziert, schockiert, ironisiert. Dabei ist er immer ein konsequenter Verfechter schwuler Interessen.
„The Advocate For Fagdom“ ermöglicht einen Einblick in LaBruces Leben und Schaffen und zeigt die verschiedenen Facetten dieses Phänomens der Popkultur. Neben Filmausschnitten und seltenen Archivaufnahmen kommen Schriftsteller, Filmemacher, Galeristen, Schauspieler, Fotografen, Produzenten, Freunde und Liebhaber zu Wort. John Waters, Bruce Benderson, Harmony Korine, Gus Van Sant, Richard Kern, Rick Castro und andere interpretieren, geben ihre Eindrücke und Theorien wieder oder wissen Anekdoten zu berichten. „The Advocate For Fagdom“ ist das faszinierende Porträt eines Künstlers mit einzigartigen Talenten, einer komplexen Persönlichkeit im Krieg mit den Systemen.
[youtube koas4S0-bfo 507 300]
Ein Interview mit Bruce La Bruce aus KONKRET 09/2010:
Pornostar sind die letzten Revolutionäre
KONKRET sprach mit dem schwulen Filmemacher Bruce La Bruce über Gender-Terrorismus, die Verspießerung der Schwulenbewegung und über seinen neuen Film „L.A. Zombie“, der gerade in Locarno Premiere feierte, aber beim Melbourne International Film Festival von der Zensur verbannt wurde.
KONKRET: Judith Butler hat den ihr vom diesjährigen Berliner CSD verliehenen „Courage”-Preis abgelehnt, weil die Veranstalter sich nicht klar genug von den rassistischen Tendenzen innerhalb der Schwulenszene abgegrenzt hatten. Hätten Sie den Preis angenommen?
LA BRUCE: Ich bewundere Judith Butler dafür, daß sie den Preis zurückgewiesen hat, denn das hat bestimmt viel Mut erfordert. Aber diese Kämpfe sind nichts Neues. Spätestens seit den Achtzigern wird die Schwulenbewegung in Westeuropa, den USA und Kanada von vornehmlich weißen, männlichen, bourgeoisen, konservativen Vorstellungen bestimmt, und seit damals dreht sich auch mein Leben und Arbeiten vor allem darum, diese bourgeoisen Tendenzen innerhalb der Schwulenbewegung und deren Kapitulation vor der herrschenden rassistischen und sexistischen Ideologie zu bekämpfen.
Darum habe ich nie irgendeiner orthodoxen Schwulenbewegung zugehörig gefühlt. Mir war schon sehr früh klar, daß sich dort die selbe fundamentale Disikriminierung und Ungleichheit manifestierte, die die Kultur insgesamt prägen.
Ich war immer gegen eineTrennung der Geschlechter und gegen die unter Schwulen verbreitete Frauenfeindlichkeit. Ich habe immer Transsexualismus und andere Formen von „Gender-Terrorismus“ unterstützt – es sei denn, auch die wollten wieder nur Stereotype bekräftigen. In „J.D.s“, dem Fanzine das ich und G.B. Jones in den späten Achtzigern herausgegeben haben, haben wir gegen das schwule, weiße, männliche Establishment gekämpft. Auf unseren Titeln posierten Männer und Frauen unterschiedlicher Hautfarbe miteinander, was damals unerhört war – und eigentlich auch heute noch unerhört ist.
Also: Ja, ich habe mir meine Glaubwürdigkeit auf diesem Gebiet redlich verdient. Ob ich den Preis abgelehnt hätte? Das ist eine rein akademische Frage. Niemand verleiht einem kleinen Pornographen wie mir solche Preise. Ich hab nie den Teddy gewonnen, Honey. Ich bin politisch viel zu unkorrekt, um irgendwelche bedeutenden Preise zu gewinnen – ob schwul oder nicht.
KONKRET: Butler hat kritisiert, die Schwulenszene lasse sich in einen rassistischen Krieg gegen Moslems instrumentalisieren. In Ihrem schwulen Zombiefilm „Otto, or Up with Dead People“ gibt es einige Szenen, die zeigen, warum Otto es vorzieht, ein Zombie zu sein: Er wird von vorwiegend türkischen Jugendlichen bedroht und angegriffen.
LA BRUCE: Sie haben Ihren Syllogismus nicht zu Ende geführt! Das ist ja eher ein Vorwurf als eine Frage! Mein Gott, diese Form politisch korrekter Repräsentationskontrolle – ich könnte kotzen. Immerhin wurde ich nach dem 11. September angegriffen, weil ich in meiner Kolumne für eine freie Wochenzeitung in Toronto den Islam verteidigt hatte und offen zu meiner damaligen Beziehung mit einem strenggläubigen Moslem stand. Darum ärgert mich eine so kleinliche Beurteilung meiner Arbeiten. Das Verhältnis von Homosexualität und Islam ist viel zu komplex für so ein Interview. Vielleicht genügt es hier zu sagen, daß ich mich wie viele homosexuelle Männer zu der so manifesten wie fließenden Homosexualität muslimischer Kulturen, die sich jeder Form des politischen Bewußtseins widersetzt, hingezogen fühle, während mich die offensichtliche Homophobie, die dieselben Kulturen gegen all jene Männer richtet, die sich als schwul identifizieren, zugleich abstößt. Das ist ein schwer lösbares Paradox. Die Vorstellung, man müsse muslimischen Kulturen ein westliches und “aufgeklärtes” schwules politisches Bewußtsein aufzwingen, ist so überheblich wie lächerlich, vor allem weil ja die westliche Schwulenbewegung selbst nicht frei ist von sozialer Diskriminierung, Rassismus und Sexismus. Trotzdem kann man das Problem von Homophobie in muslimischen Kulturen nicht einfach schönreden, insbesondere wenn es sich in Aggression und Gewalt manifestiert.
Sicher habe ich als Schwuler mehr Angst davor, in BerIin von weißen Neonazis zusammengeschlagen zu werden als von türkischen Jugendlichen. Aber das heißt nicht, daß es in der türkischen Gemeinde keine Homophobie gibt. Es gibt sie! Die Jungen, die in meinem Film den schwulen Zombie Otto zusammenschlagen, sind türkisch, weil die Szene auf den Straßen Kreuzbergs spielt. Ich habe befürchtet, daß das fälschlicherweise als rassistisch interpretieret werden könnte, und habe, um deutlich zu machen, daß Homophobie in allen Kulturen verbreitet ist, noch einen weißen Jungen hinzugefügt. Hätte ich für eine ausgewogene Darstellung statt einem zwei Weiße nehmen sollen? Wenn man als Künstler anfängt, seine Darstellung derart zu kontrollieren, bloß um politisch korrekt zu sein, kann man’s auch sein lassen.
KONKRET: Wie homophob ist die Linke heute?
LA BRUCE: Ich weiß ja nicht mal, wie Sie von „der Linken“ noch sprechen können, so als wäre das etwas Monolithisches und in sich Geschlossenes. Die Linke ist, meiner bescheidenen Meinung nach, prakisch tot. Halten Sie etwa die Neoliberalen, deren antisozialistische Wirtschaftspolitik oftmals mit gesellschaftsliberalen Werten zusammengeht, für einen Teil der Linken?
In Amerika wenigstens hat der allgemeine Trend der Schwulenbewegung zu Verspießerung und Assimilation eine Welle von Homophobie ausgelöst.
Homosexuelle kaufen sich noch in die konservativsten Institutionen der herrschenden Kultur – Ehe, Militär, Religion usw. – ein, aber die konservative, vorwiegend christliche Rechte will sie aus moralischen Gründen nicht haben. Diese – meist christlichen – schwulen Assimilationsverfechter haben mit klassisch linker Ideologie nichts mehr zu tun. Sie hoffen bloß noch, durch den Beweis, sich durch nichts von ihren Unterdrückern zu unterscheiden, deren soziale und legale Akzeptanz zu gewinnen. So sieht die neue Normalität aus. Man könnte sagen, daß es heute eine neue Form der Homophobie innerhalb der schwulen Kultur gibt, die sich gegen die “schlechten“ Repräsentanten von Homosexualität richtet – nach dem Motto: Es sind die Schwuchteln, die Homosexualität in Verruf bringen! Glücklicherweise bin ich ein Pionier in dieser Kategorie.
KONKRET: In „Raspberry Reich“ sagt die Revolutionärin Gudrun: „Ohne sexuelle Revolution kann es keine Revolution geben!“
LA BRUCE: Hey, das Konzept hab’ ja nicht ich erfunden. Schon Godard hat gesagt: „Le cul, c’est la politique“, und auch Jean Genet hat seine (Homo-) Sexualität revolutionär eingesetzt. Revolutionen wollen soziale und sexuelle Konventionen in Frage stellen. Ursprünglich – also vor der Assimilation – richtete sich die Schwulenbewegung gegen jede Form sexueller Konvention. Es waren die Sissies und Transen, die an der Spitze dieser Bewegung standen, die alle entrechteten Minderheiten aller Hautfarben und Geschlechter willkommen hieß. Lesbische Separatisten experimentierten mit einem militanten Feminismus, der jede Form des Patriarchats ablehnte. Die schwulen Ledermänner der Siebziger und Achtziger waren stilvolle, militante Krieger, die alle Formen sexueller Normalität, Gruppensex und Sex in der Offentlichkeit, zügellose Promiskuität und sexuelle Anarchie stolz zur Schau trugen. Auch der frühe Punk geht auf sexuelles Experimentieren, Homosexualität, Bisexualität, Genderdysphorie zurück und wurde erst später sexuell konventioneller. Sie haben den wichtigsten Teil von Gudruns Äußerung ausgelassen: “Ohne homosexuelle Revolution wird es keine sexuelle Revolution geben.“ Das Problem vieler Linker ist, daß sie die sexuelle Frage für eine reine Ablenkung von der den Status quo in Frage stellenden Revolution halten. Das Gegenteil ist richtig: Erst wenn man sich von solchen engstirnigen und spießigen Vorstellungen wie Monogamie, Treue- und Heterosexualität verabschiedet hat, kann man ein wirklicher Revolutionär werden. Das hat auch Gudrun gesagt, aber ich glaube, da ist viel Wahres dran.
KONKRET: lst heterosexueller Geschlechtsverkehr für Sie per se unterdrückerisch?
LA BRUCE: Für wen halten Sie mich – Andrea Dworkin? Nein, ich bin sicher kein feministischer Pornogegner. Ich glaube nicht, daß heterosexueller Verkehr und Vergewaltigung dasselbe sind. Und ich glaube auch nicht, daß ein Mann eine Frau erniedrigt, wenn er ihr außerhalb eines Friseursalons ein Facial gibt, also auf ihrem Gesicht kommt. Wie können Sie mir ernsthaft eine solche Frage stellen? Als internationaler Pornograph bin ich für jede Form des Fickens, sogar die heterosexuellen Varianten.
KONKRET: In einem Blog war zu lesen: „Die Tatsache, daß sich heterosexuelle Pornographie so sehr auf Unterwerfung konzentriert, erklärt sich nur mit dem wimmernden Wunsch nach Liebe – allerdings nach der Liebe anderer Männer.“ Sind die Phantasien heterosexueller Männer bestimmt von dem verdrängten Wunsch, von anderen Männern geliebt zu werden?
LA BRUCE: Ich bin kein strikter Freudianer, aber ich bin ein Freud-Sympathisant, und ein Freudscher Grundsatz, an den ich glaube, ist die Entwertung des Liebesobjeks. Um mit jemandem Sex zu haben, muß man ihn – unabhängig von Geschlecht oder Gender – auf die eine oder andere Weise verdinglichen. Sex ist ein aggressiver, primitiver Trieb, und Beherrschung und Unterwerfung sind dem sexuellen Akt inhärent. Meinten Sie mit Ihrer Frage vielleicht, ob alle Männer Schwuchteln sind? – Wahrscheinlich ist es so.
KONKRET: Wie kommt es, daß Frauen in lhren Filmen so oft theatralische Kämpfer für Freiheit und Gleichheit sind, die dann ihre ldeale verraten? Ist das Ihrer Meinung nach, ein typisch „weiblicher” Zug?
LA BRUCE: Sagen wir mal so:Traditionell erwartet das Mainstreamkino von schwulen Männern, daß sie, nach dem sie in ein paar schwulen Filmen ihren jugendlichen Übermut ausgelebt haben, reif sind für die massentauglichere, heterosexuelle Kost. Um diesen Erwartungen nachzukommen, erzählen schwule Regisseure ihre Filme oft aus Sicht einer heterosexuellen Heldin, auf die sie ihre Gefühle und Ästhetik projizieren können. Diese Tradition reicht von den Regisseuren des klassischen Hollywood wie George Cukor und Vincente Minnelli (Minnelli ging mit der Identifikation soweit, daß er Judy Garland, seine Hauptdarstellerin, ehelichte!) bis zu modemeren Beispielen wieTodd Haynes. Den Rahmen bildet oftmals das Melodram, in dem der schwule Regisseur in barocker Identifikation mit dem weiblichen Opfer mitleidet. Obwohl ich diese Charakere durch und durch genießen kann, wollte ich in meinen eigenen Filmen die Dinge ein bißchen anders machen. Meine weiblichen Heldinnen sind willensstark, aggressiv, intellektuell und feministisch. Es erstaunt mich , daß bei der Beschreibung dieser Frauen niemand auf diese Adjekive kommt, sondern meistens auf hysterisch,theatralisch und schrill.
Gudrun zum Beispiel ist ohne Frage ein schwieriger Charakter, dessen Vorhaben letztlich scheitert. Aber ihre Absichten sind gut, und ihre Versuche, aus der spießigen Normalität auszubrechen, sind sehr liebenswert, zumindest für mich. Viele meiner weiblichen Charaktere machen außerdem Filme. Sie versuchen,die Darstellung zu kontrollieren, und benutzen die Kamera, um sich der Selbstverdinglichung zu widersetzen. Es gibt nicht viele Filme, die solche starken weiblichen Charaktere zeigen, und falls sie besonders viele Makel haben, dann liegt das wahrscheinlich daran, daß sie meine ldentifikationsfiguren sind. Ihre Fehler sind meine Fehler.
KONKRET: Dann nehmen Sie die in lhren Filmen geäußerten politischen Überzeugungen also nicht zurück, weil Sie sie diesen etwas problematischen Charakteren in den Mund legen?
LA BRUCE: Ich bin jetzt seit sechs Jahren mit einem Kubaner zusammen, und als wir uns kennenlernten, hat er mich unermüdlich wegen meines „revolutionären“ Posierens aufgezogen. Immerhin hatte er unter Castro gelebt, bis er mit dreißig Kuba verlassen hat. Er wußte also aus eigener Erfahrung, was Revolution bedeutet. Ich dagegen hatte, obwohl ich in einer ländlichen und proletarischen Umwelt aufgewachsen war, nur das privilegierte Leben eines Weißen und relativen Wohlstand kennengelernt. Was meinem Freund auffiel, als er sich „Rasperry Reich“ anschaute war, daß ich in dem Film eingestand, daß für viele Menschen in der westlichen Welt „Revolution“ eine Art Fetisch und eine schicke Pose ist. Das muß nicht bedeuten, daß sie nicht tatsächlich einen aufrichtigen Glauben an die Revolution haben. Doch bis man nicht „seinen Marxismus dahin tut, wo der Mund ist“, wie Gudrun sagt, ist das alles bloß Rhetorik und Deko. Ich lasse also die überzeugendsten Statements von meinen korruptesten Charakteren machen,weil ich selbst in mancher Hinsicht korrupt bin.
KONKRET: Wie können Sie von Ihren Schauspielern verlangen, vor der Kamera Sex zuhaben, ohne ihre Persönlichkeitsrechte zu verletzen?
LA BRUCE: Oh, Ihre Fragen sind so aggressiv, das macht mich echt an! Als ich anfing, Filme zu machen, habe ich aus Prinzip nie von jemandem etwas verlangt, was ich nicht selbst tun würde. Darum habe ich in meinen ersten zwei Filmen, „No Skin Off My Ass“ und „Super 8 1/2“ selbst explizite Sexszenen gespielt. Die gesellschaftliche Haltung zur Pornographie ist von einer Doppelmoral bestimmt: Man konsumiert Pornos geradezu unersättlich, rümpft aber die Nase über diejenigen, die Pornos machen oder darin mitspielen. Sogar in der seriösen Kunst- und Filmwelt ist es schwer, ernstgenommen zu werden und zu arbeiten, wenn man zu eng mit Pornographie in Verbindung gebracht wird. Ich arbeite bei Filmen, die man gemeinhin als Pornos bezeichnet, ausschließlich mit professionellen Pornodarstellern zusammen, die genau wissen,was und warum sie es tun. In „The Raspberry Reich“ habe ich Susanne Sachsse gefragt, ob ihr wohl dabei wäre, expliziten Sex vor der Kamera zu haben, und ich habe ihr gesagt, daß diese Entscheidung allein bei ihr liege. Wir waren uns dann einig, daß die Aussage des Films – seine uneingeschränkte Überzeugung von der Notwendigkeit einer sexuellen Revolution sehr viel zwingender rüberkäme, wenn sie echten Sex hätte. Aus diesem Grund wurde sie danach aus ihrer Agentur geworfen. Ich weiß aber, daß sie sehr stolz auf den Film ist und ihre Entscheidung nicht bereut. Für „Otto“ habe ich den Hauptdarsteller, Jey Crisfar, gefragt,ob er explizite Sexszenen spielen würde. Er hat sich dagegen entschieden, und so ist der Film auch weniger pornographisch geworden als beabsichtigt. Das ist einer der Gründe, weshalb ich jetzt noch einen schwulen Zombiefilm gemacht habe. Mit „L.A. Zombie” löse ich mein Versprechen ein, einen richtig blutigen schwulen Hardcore-Zombieporno zu machen.
KONKRET: Denken Sie wirklich, das Pornographie subversives Potential hat?
LA BRUCE: Auf jeden Fall. Wir wissen, daß auch die junge Gudrun Ensslin einen sexuell expliziten Film gemacht hat, weil ihr das revolutionäre Potential solcher Bilder bewußt war. Viele Pornos aus den Sechzigern und Siebzigern sind sowohl inhaltlich als auch formal subversiv.Schwule Pornographie hat Regisseure wie Peter De Rome, Fred Halsted, Wakefield Poole, Curt Mc Dowell, Jack Deveau heworgebracht, die sehr experimentell und subversiv die Grenzen schwuler Repräsentation und sexueller Dekadenz und Militanz ausgereizt haben. Ich finde es erstaunlich, daß nicht mehr Leute versuchen, ihre ideologischen und politischen Vorstellungen durch Pornographie zu vermitteln. Was die Schwulenbewegung betrifft, würde ich sogar sagen, daß Pornostars die letzten wahren sexuellen Revolutionäre sind.
Ob das bewußt oder unbewußt – sind sie diejenigen, die die Tradition von kompromißlosem, militantem schwulem Hardcoresex fortführen.
KONKRET: Ich habe Ihre Filme mit Freunden angeschaut. Ich fand sie satirisch und ironisch. Meine Freunde waren anderer Meinung: Es handle sich bloß um schlechte Schauspielerei, konventionelle Pornoszenen und tolle Slogans und Ideen. Sind Ihre Filme witzig? Und wenn ja, warum? Soll das Komische die politische Botschaft und die Pornographie dialektisch brechen?
LA BRUCE: Wow, Ihre Freunde müssen ja echt bourgeois sein! Wann immer ich die Worte „schlechte Schauspielerei“ höre, greife ich nach meiner Pistole (um einen gewissen Nazi zu paraphrasieren)! Ich finde es lustig, wenn man mir vorwirft, in meinen Filmen werde schlecht gespielt. Erstens habe ich ein so kleines Budget, daß ich mir den Luxus von Proben nicht erlauben kann. Zweitens arbeite ich oft mit Leuten, die keine oder zumindest keine richtige Schauspielerfahrung haben, und dann lasse ich sie die kompliziertesten, undurchsichtigsten Dialogesprechen, die sogar professionelle Schauspieler nur mit Mühe überzeugend wiedergeben könnten. Drittens mag ich die grundlegend Brechtsche Qualität schlechter Schauspielerei. Und schließlich finde ich das übermäßig gefühlsgeladene, realistische Schauspiel, das man im narrativen Mainstreamkino sieht und das die meisten als „gut“ bezeichnen würden, grauenhaft. Es überrascht mich, daß sogar Menschen, die für sich einen unkonventionellen oder gar radikalen Geschmack beanspruchen, anscheinend all ihre kritischen Fähigkeiten an der Kinokasse abgeben, ehe sie sich die geistlosesten, massentauglichsten und spießigsten Filme anschauen.
Das Komische hingegen ist ein großartiger Gleichmacher. Besonders Slapstick kann Klassenunterschiede einebnen. In meinen Filmen mache ich viel Gebrauch vom Komischen, auch weil die Leute dazu neigen, Pornos viel zu ernst zunehmen: Über Pornos macht man nämlich keine Witze, und man macht auch nicht auf die Mechanik des Genres und des sexuellen Aktes aufmerksam – dabei kann die sehr komisch sein! Das Komische erlaubt es einem außerdem, wichtige politische Argumente zu bringen, ohne dabei wie ein dogmatisches, schulmeisterliches Arschloch zu klingen, wozu ich unglücklicherweise manch mal neige, wenn ich nicht aufpasse.
KONKRET: Warum spielen so viele Ihrer FiIme in Deutschland und beziehen sich ausdrücklich auf die deutsche Geschichte. Sind Deutschland und seine Geschichte eineArt Fetisch?
LA BRUCE: Na ja, Deutschland hat den weltgrößten und haltbarsten Fetisch aller Zeiten hervorgebracht: den Nazismus! Den Großvater aller Fe-tische! Auf dieser Vorstellung vom Superfetisch, vom ultimativen Tabu, von der ultimativ politisch unkorrekten, sexuellen Phantasie basieren sowohl mein Spielfilm „Skin Flick“ als auch dessen Hardcorepornoversion „Skin Gang”.
KONKRET: Nachdem ihn eine zärtliche Liebesszene wieder zum Leben erweckt hat, entscheidet Otto sich, doch lieber zum Zombiedasein zurückzukehren. Gibt es Liebe im Kapitalismus?
LA BRUCE: In einem Wort: Nein. In einer Gesellschaft, die Materialismus statt Spiritualismus predigt, die Schwachen sterben läßt und in der Eigentum mehr wert ist als der Mensch, kann es keine Liebe geben. Überhaupt keine.