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So, 26.10.2014 | Hannes Heer: Geschichtsdebatten Teil 2: »Holocaust«- Serie 1979 und »Historikerstreit« 1986

Mitschnitt aus dem Golem vom 26. Oktober 2014 im Rahmen der Reihe »Die Untüchtigen«.

Während die Studentenbewegung 1967/68 immer wieder mit provokanten Aktionen die Präsenz der Täter des deutschen Völkermordes in der deutschen Gesellschaft kenntlich machte, blieben die Opfer dieses Verbrechens – die Juden – weitgehend unerwähnt.
Das sollte sich erst 1979 ändern: Vier Filme der amerikanischen Fernsehserie „Holocaust“, die in der letzten Januarwoche vom WDR und allen zugeschalteten Dritten Programmen der ARD ausgestrahlt wurden, erzählten die Geschichte zweier deutscher Familien in Berlin, die sich kannten und deren Wege sich immer wieder kreuzten. Im Schicksal des jüdischen Arztes Dr. Josef Weiss, seiner Frau und seiner drei Kinder sowie deren Partner und Schwiegereltern wurden alle möglichen Stationen von Verfolgung, Tod und Widerstand filmisch oft kolportagehaft aber thematisch mit größtem Ernst dargestellt. Als Gegenfigur diente der arbeitslose Jurist Erik Dorf, der in die SS eintrat und dort Karriere machte. Während er zunächst noch die Weiss-Familie gewarnt und zur Emigration aufgefordert hatte, wurde er später als persönlicher Referent von Heydrich einer der Planer und Vollstrecker des Holocaust und nahm sich in amerikanischer Gefangenschaft das Leben.

Die Serie wurde trotz der vorab erfolgten negativen Kampagne in Zeitungen wie „Welt“ und „Spiegel“ ein medialer Straßenfeger und für Millionen Zuschauer zum politischen Schock: Die Einschaltquote lag zwischen 30 und 40 Prozent, 30 000 Anrufer wurden während den Sendungen gezählt, die ihre Fragen oder ihre Not loswerden wollten, Zehntausende versuchten vergeblich, telefonisch Gehör zu finden.
Die Themen der Anrufer waren Vergessen, Schuld und wie es zu den Verbrechen kommen konnte. Natürlich gab es auch jede Menge abwehrender bis hasserfüllter Reaktionen: Es sei an der Zeit, einen Schlussstrich zu ziehen, die Bombardierung Dresdens oder die Ausrottung der nordamerikanischen Indianer seien dem Holocaust vergleichbare Verbrechen, schließlich sei das ganze Filmspektakel eine von Juden bezahlte und inszenierte Kampagne. Als Ausrufezeichen hinter solchen Sätzen wurden in Münster und Köln Sendemasten gesprengt. Aber der positive Effekt überwog. Die Serie über das Schicksal weniger Menschen sei, so bilanzierte Roderich Reifenrath in der „Frankfurter Rundschau“, für viele Zuschauer dadurch zum Schlüsselerlebnis geworden, „dass sie sich mit den Opfern identifizieren konnten – mit ihren Ängsten, Demütigungen und Leiden“. Zugleich wies der Autor auf eine weitere Quelle für die emotionale Explosion hin – die „Betroffenheit angesichts der Ungewißheit, wie tief denn die eigenen Familien – Großväter, Väter, Brüder […] – in die Verbrechen der Nazis verstrickt waren“.

Der Historiker Ernst Nolte hatte am 6. Juni 1986 in einem Beitrag der Frankfurter Allgemeinen Zeitung behauptet, die Nationalsozialisten hätten den »Rassenmord« an den europäischen Juden nur als Reaktion auf den am russischen Bürgertum vollzogenen »Klassenmord« der Bolschewiki und aus Angst davor, selber zu Opfern einer solchen Tat zu werden, begangen. „War nicht der ‚Archipel GULag‘ ursprünglicher als Auschwitz?« lautete seine Provokation, der er sofort eine zweite folgen ließ: Der Klassenmord aber sei eine Erfindung der französischen Revolution und deren „Gleichheitsideologen“ gewesen.
Noltes berühmterer Kollege Andreas Hillgruber sorgte mit einer gleichzeitig erschienenen Schrift unter dem bezeichnenden Titel Zweierlei Untergang. Die Zerschlagung des deutschen Reiches und das Ende des europäischen Judentums für den nächsten Tabubruch. Gegen die These des prominenten CDU-Politikers Norbert Blüm, die Wehrmacht habe durch das Halten der Front im Osten den Weiterbetrieb von Auschwitz ermöglicht und damit eine Mitschuld am Holocaust auf sich geladen, erklärte er, die Generäle hätten damals nur den Schutz der Zivilbevölkerung und die Rettung des Reiches im Sinn gehabt. Der Holocaust sei dagegen allein die Schuld Hitlers gewesen. Anders als der damalige Bundespräsident Richard von Weizsäcker, der den 8. Mai 1945 zum Tag der Befreiung für alle Deutschen erklärt hatte, beharrte Hillgruber darauf, dass diese Deutung nur für die kleine Gruppe der Überlebenden des Holocaust gelte. Auf diesen doppelten Skandal antwortete kein Historiker, sondern Deutschlands bekanntester Soziologe Jürgen Habermas. Dieser attackierte die erfolgte Grenzüberschreitung und deren Methode: Noltes Entlastungsmanöver bestehe darin, dem Nationalsozialismus die Vorgeschichte als einer Aufstandsbewegung „gegen die kulturelle und gesellschaftliche Modernisierung“ zu erfinden und Hitler damit eine historische Berechtigung zuzusprechen. Hillgruber, der als Soldat an den Endkämpfen im Osten beteiligt gewesen war, warf er vor, als Historiker auf die vom Fach gebotene Distanz verzichtet und sich mit seiner damaligen Rolle des „tapferen Soldaten“ identifiziert zu haben. Gravierender aber sei, dass er den Krieg vom Holocaust getrennt und die deutsche Geschichte in eine jüdische und eine nichtjüdische aufgespalten und mit der Behauptung von der Alleinschuld Hitlers für den Holocaust die Masse der Deutschen zu Unschuldigen erklärt habe. Joachim Fest antwortete darauf, indem er die Provokation noch verschärfte: So wie die Bolschewiki Opfer ihrer revolutionären Rhetorik geworden seien, habe auch Hitler sich in seinen „verbalen Exzessen verstrickt“ und sei zum „Gefangenen“ seiner selbst geworden.
Zum Verständnis der Ursachen der Kontroverse sind folgende Punkte von Bedeutung:

1. Die durch die Holocaust-Serie erfolgte Einbeziehung von großen Teilen der Bevölkerung in eine öffentliche Debatte um die deutsche Schuld. Dieses Thema hatte durch Äußerungen von CDU-Politikern wie Blüm und Weizäcker erhöhte Bedeutung erhalten und verlangte daher wieder unter die Kontrolle von professionellen Historikern und verantwortungsbewussten Politikern gebracht zu werden.

2. Die politische Situation in der Bundesrepublik, die von der neuen CDU-geführten Bundesregierung als Chance für eine geschichtspolitische Wende begriffen wurde: Bundeskanzler Helmut Kohl forderte keinen „Schlussstrich, aber einen „unbefangenen Umgang“ mit der Nazivergangenheit. Sein zusammen mit dem US-Präsident Reagan erfolgter Besuch des Soldatenfriedhofs in Bitburg, wo neben gefallenen Wehrmachtssoldaten auch Angehörige der Waffen-SS beerdigt waren, demonstrierte, was er damit meinte.

3. Die generationelle Bindung der Kontrahenten. Nolte, Hillgruber und Fest gehörten den Jahrgängen 1923 bis 1926 an und waren noch als Wehrmachtssoldaten an der Front und nach der Niederlage in Gefangenschaft gewesen. Sie hatten diese Zugehörigkeiten wie ihr Wissen um die Taten des Regimes nach dem Krieg verleugnet oder im Stile Hillgrubers legitimiert. Ihre Kontrahenten waren neben Jürgen Habermas Historiker wie Hans-Ulrich Wehler, Eberhardt Jäckel, Christian Meier oder die Gebrüder Hans und Wolfgang Mommsen. Diese waren als Angehörige der Jahrgänge 1929 bis 1931 bestenfalls als Flak- Front- oder Marinehelfer eingesetzt worden, also Schüler geblieben. Sie hatten daher ein unbefangenes, aber kritisches Verhältnis zur deutschen Schuld und vor allem – für sie war der 8. Mai 1945 eine Befreiung und der Krieg damit auch zu Ende gewesen.

In Zusammenarbeit mit der Rosa-Luxemburg-Stiftung, der KZ Gedenkstätte Neuengamme und der Evangelischen Akademie der Nordkirche.

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